Ziele gewerkschaftlicher Erwachsenenbildung
Wozu gewerkschaftliche Bildung? Klar, es geht um Handlungsfähigkeit von Betriebsrät:innen. Aber warum? Und wie? Wir haben nachgefragt – bei Bildungsverantwortlichen in Gewerkschaften, bei der Refak und im VÖGB. Die Antworten auf die Frage „Was ist dein Ziel von gewerkschaftlicher Bildung?“ zeigen: Ums Politische geht es immer. Und um viel Herz und Hirn.
Thomas Kreiml, Bildungssekretär in der Gewerkschaft GPA
„Gewerkschaftliche Bildung will Betroffene zu Beteiligten machen. Das erfordert zunächst die Kompetenz, sich selbst, die eigene Rolle als Betriebsrat bzw. Betriebsrätin, sowie auch als Gewerkschafter:in regelmäßig zu reflektieren. Die jeweilige Eingebundenheit in sich wandelnde betriebliche und gesellschaftliche Verhältnisse muss dabei ebenfalls in den Blick genommen werden.“
„Menschen darin zu stärken, im Austausch mit anderen eigene Standpunkte prüfen, hinterfragen und weiterentwickeln zu können, ist für mich eine wesentliche Aufgabe der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung. Ich sehe darin einen Grundstein, um Entwicklungen und Veränderungen für sich selbst und andere aktiv gestalten und begleiten zu können. Gewerkschaftlich formuliert geht es darum, so handeln zu lernen, dass wir (Macht-)Verhältnisse nicht als vorgegeben akzeptieren, sondern sie im eigenen Interesse als Lohnabhängige in Frage stellen, gestalten wollen und für uns passende Praxen entwickeln können.
In der Umsetzung finde ich dazu die Idee einer gewerkschaftlichen Persönlichkeitsentwicklung hilfreich. Viel mächtiger als rein kognitives Lernen wirken Lerneffekte der Selbsterfahrung in Gruppen – mit lernförderlichen Methoden in Lernprozessen, die selbstorganisiert sind. Referent:innen sind darin keine Vortragende, sondern Prozessbegleiter:innen, die den Rahmen setzen, in dem Menschen selbstorganisiert lernen. Dass es eine Herausforderung ist, diese Art des Lernens zu ermöglichen, zeigt für mich, dass wir als Gewerkschafter:innen und Organisationen selbst laufend lernen (müssen), wie wir mit den Veränderungen der Welt umgehen.“
Daniela Schratter, Co-Leiterin der Referent:innen-Akademie
„Wir vermitteln mit unseren Bildungsangeboten eine gewerkschaftspolitische, antisexistische und antirassistische Haltung. Es geht darum, die eigene Rolle als Trainer:in zu reflektieren … “
„Unsere Zielgruppen sind Personen, die in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung tätig sind oder sein werden. Daher besuchen unsere Workshops sowohl Mitarbeiter:innen von Gewerkschaften und Arbeiterkammern – mit viel Erfahrung aus dem Gewerkschaftskontext, viel Expert:innenwissen, aber weniger Trainingserfahrung – als auch Trainer:innen, die wiederum viel Trainingskompetenz mitbringen, aber weniger gewerkschaftliches Wissen und „Gespür“. Unser Ziel ist es, diese heterogenen Zielgruppen voneinander lernen zu lassen.
Wir vermitteln mit unseren Bildungsangeboten eine gewerkschaftspolitische, antisexistische und antirassistische Haltung. Es geht darum, die eigene Rolle als Trainer:in zu reflektieren und zugleich zu überlegen, wie Trainer:innen Haltungen, Werte und Inhalte in ihren eigenen Seminaren für Arbeitnehmer:innenvertretungen umsetzen können, damit diese in ihrem beruflichen Alltag handlungsfähig sind und zielgerichtet (weiter-)arbeiten können.“
Peter Schissler, Bundessekretär für Bildung in der PRO-GE
„Wir haben auf allen Ebenen die Möglichkeit, mitzubestimmen. Das theoretisch und praktisch zu vermitteln, ist ein wichtiges Bildungsziel.“
„Mit unserer Bildungsarbeit möchten wir Betriebsrät:innen unterstützen, möglichst viel für ihre Kolleg:innen zu erreichen, aber auch einiges abwehren zu können. Dazu braucht es zweierlei Kompetenzen: Erstens rechtliches Wissen und zweitens, Menschen mobilisieren zu können. Sprich: Wie gestalte ich eine Betriebsvereinbarung? Welche Eskalationsszenarien gibt es im Betrieb? Wie kann ich Gegenmacht aufbauen?
Ein zweites großes Ziel unserer Arbeit ist es, die Entwicklung der Betriebsrät:innen zu kritischen Staatsbürger:innen zu fördern. Wir haben in der PRO-GE eine eigene Seminarlinie „Wir machen Politik“ mit Themen wie „Hetzer stoppen“, „Fake News“ oder zum Sozialstaat. Kritische Staatsbürger:innen sind notwendig, damit schleichende Verschlechterungen in den Lebens- und Arbeitswelten nicht ohne Reaktion bleiben. Dazu gehört Wissen über den Rechtsstaat und über Möglichkeiten der Demokratie, aber auch das kritische Hinterfragen von Systemen.“
Nina Dirnweber, pädagogisch Verantwortliche im VÖGB
„Wissen unter den Kopfpolster zu legen und auswendig zu lernen, reicht nicht. Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung lebt von Emotionen – das ist der Spirit von Wissensvermittlung.“
„Wir verfolgen viele Ziele mit unseren Bildungsangeboten. Vorrangig für mich ist dabei die Demokratiebildung und die politische Bildung. Das fehlt großteils in der Erwachsenenbildung. Umso wichtiger ist es, dass sich die gewerkschaftliche Bildung dieser Aufgabe annimmt.
Oft geht es in der Bildung um Kompetenzen und Wissen. Uns ist zusätzlich die politische Haltung wichtig, etwa: Was bedeutet Demokratie? Warum ist sie wichtig? Wie kann ich sie mitgestalten? Das gelingt nur, wenn wir Teilnehmer:innen auch emotional involvieren. Wir möchten Teilnehmer:innen zum Handeln bewegen – für bessere Arbeitsbedingungen, für Demokratie und für eine Weiterentwicklung der Gewerkschaftsbewegung. Entwicklung setzt kritisches Hinterfragen voraus, auch das möchten wir mit unseren Angeboten fördern.“
Gerald Strobel, Leiter des Bildungsreferats in der Gewerkschaft vida
„Gewerkschaftspolitische Bildung vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch Herz und Haltung. Gemeinsam lernen – solidarisch handeln. Das zu vermitteln, ist unser Ziel.“
„Gewerkschaftliche Bildungsarbeit muss sich als gewerkschaftspolitische Erwachsenenbildung begreifen. Der Zusatz „politisch“ ist relevant. Unser Bildungsangebot ist mehr als eine bloße Methodensammlung zur Steigerung individueller Performance.
Unser Anspruch geht über die bestmögliche Qualifizierung unserer Betriebsrät:innen hinaus. Wir wollen ihre gewerkschaftlichen Netzwerke, ihre Autonomie, ihre Konflikt- und Kritikfähigkeit stärken. Wir blicken mit unseren Teilnehmer:innen über den betrieblichen und persönlichen Tellerrand hinaus und schärfen den gemeinsamen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse. So schaffen wir aufs Neue die Voraussetzung für solidarisches gewerkschaftliches Handeln – und bilden Gegenmacht.
Nebenbei darf gewerkschaftliche Bildung auch Spaß machen und Raum für die Suche nach Alternativen für eine bessere Zukunft bieten.“
Stefanie Jöbstl, Bildungssekretärin in der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten
„Unser Ziel ist es auch, Betriebsrät:innen und Personalvertreter:innen zu motivieren, weiterzumachen, denn Betriebsratsarbeit kann sehr undankbar und frustrierend sein.“
„Mit gewerkschaftlicher Bildung wollen wir in erster Linie die Handlungskompetenz von Betriebsrät:innen und Personalvertreter:innen ausbauen. Wir geben ihnen einerseits Tipps und Hilfestellungen, um sich selbst helfen zu können. Und andererseits Know-how, um Sicherheit in der täglichen Arbeit zu erlangen. Zum Beispiel wenn es darum geht, was Betriebsrät:innen rechtlich machen dürfen. Oft ist das ein großer Aha-Effekt.
Unser Ziel ist es auch, Betriebsrät:innen und Personalvertreter:innen zu motivieren, weiterzumachen, denn Betriebsratsarbeit kann sehr undankbar und frustrierend sein. Durch Vernetzung mit anderen Betriebsrät:innen stärken wir die Motivation, arbeiten gemeinsam Lösungen aus und vermitteln damit: Ihr seid nicht alleine!“
Redaktion: Irene Steindl
Illustration: Julia Stern
Vom Bücherkoffer zum Distance Learning
Distance Learning gibt es in der gewerkschaftlichen Bildung seit dem vorigen Jahrhundert. Damals hieß das „Briefschule“. Auch heute experimentiert Bildung mit unterschiedlichen Lehr- und Lernformaten, um möglichst viele Betriebsrät:innen abzuholen. Sabine Letz und Brigitte Peller erzählen uns von Wanderbüchereien, Briefschulen und warum Präsenzseminare durch nichts zu ersetzen sind.
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