
„Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.“ John Dewey
Die Fähigkeiten, die Menschen brauchen, um Demokratie zu leben und sich aktiv an demokratischen Prozessen zu beteiligen, entstehen nicht von selbst. Es ist Aufgabe der Bildung, die Entwicklung dieser Kompetenzen zu fördern. Welchen Beitrag die gewerkschaftliche Erwachsenenbildung dazu leisten kann, beleuchte ich in den diesjährigen Beiträgen der #dimi-Blogserie.
Wir leben in einer Zeit, in der demokratische Werte weltweit herausgefordert werden. Rechtspopulistische Parteien fahren einen Erfolg nach dem anderen ein, und autoritäre Staatsmänner demontieren systematisch demokratische Strukturen und ignorieren etablierte Vereinbarungen von Asyl bis Völkerrecht. In Zeiten wie diesen brauchen wir mündige Bürger:innen, die mit vereinten Kräften Gegenmacht erzeugen. In der Bildung dieser Gegenmacht kommt der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung eine wichtige Rolle zu.
„Demokratiebildung sollte Menschen dazu motivieren ins Tun zu kommen und Veränderungen aktiv mitzugestalten“, sagt Stefanie Fridik vom Demokratiezentrum Wien in einem Interview.
Um Demokratie als Lebensform zu verteidigen, hilft es, am eigenen Leib zu spüren, was Fairness und Gerechtigkeit bedeuten, und zu erleben, dass man sich beispielsweise auf Vertretungen wie den Betriebsrat oder die Gewerkschaft verlassen kann, wenn es darum geht, Gerechtigkeit einzufordern. Wer Demokratie praktisch erfährt, erkennt auch ihren Wert als Schutz der eigenen Rechte. Dadurch fällt es leichter, demokratische Prozesse zu verteidigen und sie in den verschiedensten Bereichen des Lebens als Orientierungsrahmen zu nutzen.
Selbstwirksamkeit spielt dabei eine zentrale Rolle: Wer sich selbst als handlungsfähig erlebt, ist weniger anfällig für populistische Meinungen oder Verschwörungstheorien. Die gewerkschaftliche Erwachsenenbildung kann gezielt Räume schaffen, in denen Menschen Selbstwirksamkeit erleben und demokratische Prinzipien in der Praxis erproben können. Es stellt sich die Frage nach den Kompetenzen, die benötigt werden, um das Recht auf Mitbestimmung einzulösen.
Demokratie als gelebte Praxis im Bildungsbereich
Wollen wir in der gewerkschaftlichen Bildung zur Entwicklung demokratischer Kompetenzen beitragen, reicht es nicht aus, diese nur theoretisch zu lehren. Sie müssen aktiv in Seminaren und Bildungsformaten integriert werden. Demokratische Kompetenzen entwickeln die Lernenden, wenn sie demokratische Haltungen erleben – zum Beispiel indem Entscheidungsprozesse demokratisch gestaltet werden, vielfältige Meinungen erfragt werden und Platz für Diskussionen bleibt. Eine offene Lernkultur, die Meinungsvielfalt zulässt und respektvolle Debatten fördert, ist essenziell, um demokratische Prinzipien nicht nur zu lehren, sondern auch vorzuleben.
„Wer keine Erfahrungen mit Demokratie macht, kann diese kaum oder schlecht umsetzen. Daher gilt es, möglichst viele Bereiche des sozialen Miteinanders demokratisch zu gestalten – von der Kindererziehung über den Schulunterricht bis hin zu einer selbstbestimmten Arbeit,“ ist in einem Artikel mit dem Titel Demokratie als Lebensform zu lesen.
Eine weitere essenzielle Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Die Erwachsenenbildung kann durch gezielte Bildungsangebote einen Beitrag dazu leisten, diesen „gesellschaftlichen Zusammenhalt als Grundbedingung einer funktionierenden Demokratie zu fördern und vielleicht sogar herzustellen“, wie Almut Büchsel den Beitrag der Erwachsenenbildung zur Demokratieförderung beschreibt.
Das Kompetenzmodell für eine demokratische Kultur
Orientierung bietet das Kompetenzmodell für eine demokratische Kultur, das 2016 vom Europarat entwickelt und als Referenzrahmen für alle Akteur:innen, die für die Entwicklung und das Bereitstellen von Bildungsangeboten zuständig sind, festgelegt wurde. Wer in seinen Seminaren Partizipation, kritisches Denken, Empathie und Kooperation unterstützt, trägt dazu bei, demokratische Strukturen nicht nur zu vermitteln, sondern aktiv zu stärken. Gleichzeitig fördert diese Bildung Selbstwirksamkeit, die als Schutz vor populistischen Strömungen und Verschwörungstheorien dient.
Der Kompetenzrahmen ist auch auf die gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung anwendbar. Dieser kann in der Planung und Evaluierung von Bildungsangeboten genutzt werden. Werte und Haltungen sollten als Querschnittsthema immer mitgedacht werden. Die Bereiche „Fähigkeiten und Fertigkeiten“ sowie „Wissen und Verstehen“ beinhalten wichtige inhaltliche und methodische Anregungen zur Entwicklung demokratischer Kompetenzen. Wie diese konkret in die gewerkschaftlichen Bildungsarbeit einbezogen und welche Methoden konkret genutzt werden können, werde ich im nächsten Blogbeitrag genauer darstellen.
Bis dahin, wünsche ich uns allen, dass wir unser demokratischen Kompetenzen im Alltag nutzen, weiterentwickeln und zeigen, dass miteinander mehr möglich ist, als gegeneinander.
Weiterführende Links
Literatur
- Negt, Oskar. 2016. Der politische Mensch: Demokratie als Lebensform. 1. Auflage. Schriften/Oskar Negt Band 16. Göttingen: Steidl.
- Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE) (Hg.): Bilden für die Demokratie. weiter bilden 3/2024
Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.
Autorin: Margret Steixner
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