Warum Kooperation manchmal so schwierig ist und trotzdem den Lernerfolg steigern kann
Hast du auch schon erlebt, dass das Lernen in einer Gruppe manchmal einfach ist und Spaß macht und sich manchmal wie ein mühsamer Kampf ohne befriedigenden Ausgang anfühlt?
Dieser Blogbeitrag geht der Frage nach, welche Bedingungen dazu führen, dass das gemeinsame Lernen einmal gut funktioniert und ein andermal nur Frust erzeugt. Wo ist der Wendepunkt, wenn die Lernenden trotz anfänglicher Widerstände motiviert dabei sind, weil sie erkennen, dass sie aus dieser Art des Lernens mehr mitnehmen können als durch einen Frontalvortrag?
Der aktuelle #dimi dreht sich um die Frage, was kollaboratives Lernen ist und wie dieses zur Entwicklung von Kompetenzen beitragen kann. Der nächste #dimi geht dann näher auf die Bedingungen ein, die kollaboratives Lernen erschweren oder erleichtern.
Kollaboratives Lernen findet immer dann statt, wenn Lernende die Möglichkeit bekommen, kleinere oder größere Lernaufträge in einer Gruppe zu bewältigen. Mit dem Ziel, selbst Lösungsansätze zu entwickeln, spezifisches Wissen zu erarbeiten und diese auf praktische Anwendungsbeispiele zu übertragen. Gemeint sind alle Formen der Gruppenarbeit, die sich von kleinen Arbeitsaufträgen in einem Seminar bis hin zu umfassenden Praxisprojekten im Rahmen eines Lehrgangs ziehen können.
Lernaufträge in einer Gruppen zu erledigen, ist meist aufwändiger als alleine zu lernen. Das ist mitunter ein Grund, wieso das kollaborative Lernen nicht automatisch auf positive Resonanz bei den Lernenden stößt. Die Motivation des Einzelnen zur Kooperation wird stark vom Erleben der Gruppe beeinflusst: Fühle ich mich in der Gruppe mit meinen Erfahrungen und als Mensch anerkannt, traue ich mich, meine Meinungen und Bedürfnisse zu äußern und erlebe ich die Zusammenarbeit als produktiv?
Lernen in der Gruppe ist nicht zwangsläufig erfolgreicher oder beliebter als das Lernen im Einzelsetting. Im Gegenteil: Insbesondere wenn Lernaufträge an Ergebnisse geknüpft sind, die möglicherweise noch bewertet werden, bevorzugen viele Lernende den Lernauftrag alleine zu bearbeiten. Argumente dafür sind, dass Einzelaufgaben effizienter und unabhängiger erledigt und den eigenen Standards entsprechend gestaltet werden können.
Warum macht kollaboratives Lernen trotzdem Sinn?
Lernen ist ein aktiver Prozess, d.h. Lernen ist besonders ergebnisreich und nachhaltig, wenn die Lernenden selbst aktiv werden. Diese Grundaussage habe ich bereits in #dimi_03 getroffen und in vielen #dimi Beiträgen mit Beispielen untermauert.
Um die Aktivität bei den Lernenden zu erhöhen, bieten sich unterschiedliche Formen des kollaborativen Lernens an. Diese sollen die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit dem jeweiligen Wissensgebiet vorantreiben und sie ins Denken, Strukturieren und Finden von Lösungen bringen. Dabei geht es beim kollaborativen Lernen aber nicht nur um das reine Ergebnis, sondern immer auch um den Weg zum Lernergebnis – sprich den Lernprozess.
Lernen ist nicht das, was am Ende herauskommt, sondern der gesamte Prozess der Wissensaneignung. Dieser profitiert maßgeblich vom sozialen Miteinander, da dabei unterschiedliche Gehirnareale stimuliert werden, was dazu beiträgt, dass neues Wissen besser verankert und erinnert werden kann. Gemeint sind beispielsweise Diskussionen, die auf der inhaltlichen Ebene geführt werden, jedoch auch viele soziale Interaktionen und damit auch Emotionen mit sich bringen. Es ergeben sich Möglichkeiten, eigene Erfahrungen einzubringen, diese also zu reproduzieren und gemeinsam mit anderen zu analysieren und mit den neu erarbeiteten Themen in Bezug zu setzen. Dabei werden gemeinsam Argumente für oder gegen einen Lösungsansatz entwickelt. All diese Diskussionen aktivieren das Gehirn, machen es aufnahmebereit und sorgen dafür, dass das Wissen nachhaltig verarbeitet wird. Die Rolle der Trainer*in ist dabei immer eine zurückhaltende, denn die Lernenden sollen selbst die Möglichkeit bekommen, Szenarien zu erproben und herauszufinden, welche Bedingungen zu welchen Ergebnissen führen.
Neben der Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung schließt kollaboratives Lernen auch alle Prozesse, die über die inhaltliche Ebene hinausgehen, mit in den Lernprozess ein. Es werden zahlreiche Kompetenzen gefördert. Beispielsweise lernt die Gruppe und jede/r Einzelne bei jedem Schritt, bei dem sich die Gruppe organisiert, Aufgaben verteilt, Entscheidungen trifft, sich auf die Suche nach Informationen macht und versucht herauszufinden, wie sie spezifisches Wissen für die Lösung der gestellten Aufgabe nutzen kann. All diese Schritte sind Teil des Lerngeschehens. Selbst Entscheidungen zu treffen fördert die Verankerung des Wissens und die Entwicklung von Kompetenzen, ohne die das Wissen eine leere Hülle bleibt. Kollaboratives Lernen verschreibt sich also dem Anspruch, dass es beim Lernen nicht nur um den unmittelbaren „Output“, sondern um das umfassendere und längerfristiger gedachte Lernergebnis geht.
Wie entsteht eine kollaborative Lernkultur?
Kollaboratives Lernen geht davon aus, dass Lernen durch das gemeinsamen Tun angeregt wird. Die zentrale Frage dabei ist, wie Kooperation und Zusammenarbeit in einer Lerngruppe gelingen kann. Kollaboration erweitert den Begriff der Kooperation. Kooperation kann als Zusammenarbeit übersetzt werden, während Kollaboration Zusammenwirken bedeutet. Es geht also darum, dass in der Zusammenarbeit ein Lernergebnis entsteht, das nur durch das Zusammenwirken der Gruppe möglich wird und einen Mehrwert schafft, der mit einer Einzelarbeit nicht erreicht werden kann. Dazu mehr im nächsten #dimi.
Eine Lernkultur, die auf dem Prinzip der Kollaboration aufbaut, entwickelt sich nicht im Rahmen einer einzelnen Gruppenarbeit. Kollaboration wird erst dann zum Lernprinzip, wenn die Bedingungen dafür bewusst und langfristig geschaffen werden und Reflexion und Feedback ein fixer Teil des Lerngeschehens wird. Besonders bei Lehrgängen, die ein wesentlicher Bestandteil der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit sind, kann kollaboratives Lernens als Haltung etabliert und so ein nachhaltiger Lernprozess gestaltet werden. Die Lehrgangsleitung ist dabei ebenso gefordert wie die Trainer*innen den, Rahmen für kollaboratives Lernen zu schaffen und weiterzuentwickeln.
Kollaboratives Lernen zielt darauf ab, Wissen und Kompetenzen als eng ineinander verschränkt zu sehen und Lernprozesse so zu gestalten, dass Wissensaneignung in Kompetenz mündet. Ziel des Lernens ist also das Erlangen einer umfassenden Handlungskompetenz, die Fach-, soziale und persönliche Kompetenzen miteinschließt. Gerade in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wird dieser Anspruch besonders nachvollziehbar: Was nützt es Betriebsrät*innen, wenn sie ein gutes arbeitsrechtliches Basiswissen erwerben, jedoch über geringe beraterische oder kommunikative Fähigkeiten verfügen? Handlungskompetenz entsteht immer im Doppelpack. Kollaboratives Lernen geht davon aus, dass diese umfassenden Kompetenzen besonders gut in Form von handlungsorientierten Arbeitsaufträgen entwickelt werden können, die den Szenarien aus dem Alltag nahekommen.
Welche Kompetenzen werden durch kollaboratives Lernen entwickelt?
In jedem kollaborativ angelegten Lernarrangement bekommen die Lernenden die Möglichkeit, ihre sozialen Kompetenzen weiterzuentwickeln und solidarisches Handeln zu üben. Sie können unterschiedliche Rollen einnehmen und ihr Verhaltensrepertoire erweitern. Die einen erleben in der Gruppe die Möglichkeit, das Vertreten ihrer Meinung zu üben. Andere lernen, sich mehr zurückzuhalten, damit sich alle partizipativ beteiligen können. Die Lernenden trainieren ihre Fähigkeiten, einen Sachverhalt darzustellen und anderen zu erklären oder diesen zu begründen. Sie treffen Entscheidungen, indem sie Kontexte und Situationen bewerten und lernen sich selbst zu organisieren.
Kurz: Sie entwickeln ihre kommunikativen, sozialen und persönlichen Kompetenzen und vertiefen ihre fachlichen und methodischen Fähigkeiten, die in ihrer Rolle als Betriebsrät*in, Gewerkschaftsfunktionär*in etc. zentral sind. Auch wenn kollaboratives Lernen an sich erfolgsversprechend ist, wissen wir, dass es vieler Überlegungen und ein klares Rollenverständnis der Trainer*innen braucht, um einen konstruktiven Rahmen dafür zu schaffen. Einige wichtige Punkte, die das kollaborative Lernen betreffen, habe ich bereits im #dimi_14, in dem es um Gruppenarbeiten ging, beschrieben. Auch der #dimi_ 08 geht auf soziale Lernräume ein und beschreibt, was Einzelne in der Gruppe brauchen, um gut miteinander arbeiten zu können.
Im kommenden Blogbeitrag #dimi_18 erfährst du, welche Herausforderungen beim kollaborativen Lernen häufig auftreten, z.B. dass sich nicht alle Lernenden gleichwertig am Lernprozess beteiligen und die Zusammenarbeit unter diesem Ungleichgewicht leidet. Du erfährst auch, was du als Trainer*in konkret tun kannst, um eine kollaborative Lernkultur zu schaffen, z.B. damit die Gruppe gut ins Arbeiten kommt und Konflikte als Lernmöglichkeit nutzt, anstatt sie unter den Teppich zu kehren.
Zum Weiterlesen:
- Widulle, Wolfgang (2009): Handlungsorientiert Lernen im Studium. ArbWidulle, Wolfgang (2009): Handlungsorientiert Lernen im Studium. Arbeitsbuch für soziale und pädagogische Berufe. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss (OnlinePlus).
- Kooperatives Lernen
- Lernen wir gemeinsam mit anderen besser?
- Methodenpool Uni Köln
Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.
Autorin: Margret Steixner
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