#grumo_08: Vielfalt in der Gruppe

Manchmal ist Verschiedenes nicht einfach unter einen Hut und schon gar nicht in verschiedene Hüte zu bringen.

Maria zeichnet immer noch auf ihrem Zettel herum, als die anderen eintrudeln. Diesmal treffen sie sich in einem Gastgarten in der Stadt. Beate schaut Maria neugierig über die Schulter „Was machst du da?“, will sie wissen. Maria seufzt und erklärt, dass sie versucht, für einen Lehrgang Kleingruppen zu bilden, aber auf keinen grünen Zweig kommt. Sie hätte gerne, das möglichst viele Diversitätskategorien beachtet werden und die Kleingruppen möglichst heterogen zusammengewürfelt sind.

Beate ist sofort mitten drin, sie liebt Knobelaufgaben, und beugt sich mit Maria über deren Zettel. Paul und Rudi schauen sich ein bisschen ratlos an. „Vielleicht ist das eine Altersfrage“, meint Rudi „aber ich hab da noch nie so viel Zeit drauf verwendet, die Gruppen zu teilen. Ich mach das meistens nach dem Zufallsprinzip.“ Yasmin lacht laut auf „Ich glaub eher, es ist eine Genderfrage“ – und schon sind unsere fünf mitten im heutigen Thema.

Falcon Crest, Knight Rider und das A-Team

Gerade zu Beginn von neuen Gruppen geht es darum, Gemeinsamkeiten festzustellen. Wir – als soziale Wesen – mögen es, wenn wir Ähnlichkeiten zu anderen bemerken: im Urlaub freuen wir uns, wenn wir Leute aus unserem Nachbardorf treffen, bei neuen Bekanntschaften geht es zunächst auch darum, Interessen und Vorlieben zu teilen. Wir freuen uns, andere Vegetarier*innen oder Hundeliebhaber*innen kennen zu lernen, oder Leute, die den gleichen Sport wie wir gut finden. Paul erzählt, dass bei seinen mehrtägigen Seminaren am ersten Abend ganz oft über Fernsehserien, die die Leute als Jugendliche geschaut haben, geredet wird. „Ich hab da schon einen Startvorteil, weil ich das öfter schon erlebt hab. Ich kann dann schon auftrumpfen mit Falcon Crest, das A-Team und Knight Rider und den dazu passenden Titelmelodien. Da wird dann aber auch gleich klar, wer als Kind nicht so viel fernsehen durfte oder in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen ist und diese Serien gar nicht kennt. Das sorgt dann gleich für Interesse oder Irritation.“

Aufstellen zum Differenzieren

Gleichzeitig tasten wir aber auch Unterschiede ab. Im weiteren Verlauf der Gruppendynamik werden diese dann immer wichtiger: Differenzierungen finden statt. Yasemin berichtet, dass sie zu Beginn oft Aufstellungen macht, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar zu machen. „Da geht es dann um scheinbar harmlose Fragen, wie Geburtsort oder Branche, in der man tätig ist. Oft werden dann aber schon Gewichtungen deutlich sichtbar. Wenn zum Beispiel alle in Österreich geboren sind und nur eine in der Türkei, dann werden kulturelle Schwerpunkte recht schnell klar. Oder wenn in der Gruppe lauter Arbeiter*innen und nur zwei Angestellte sind.“

Die anderen nicken. „Oft gibt es zu Beginn das Bedürfnis, die Unterschiede eher zu verwischen. Da fallen dann so Sätze wie „aber wir sind alle bei der Gewerkschaft“ oder „aber eigentlich bist du schon seit deinem zweiten Lebensjahr in Österreich, also gehörst du eh zu uns“, ein Satz, den ich selber ganz oft schon gehört habe“, endet Yasemin. „Komisch eigentlich“, meint Maria „dass wir uns in der Gruppe oft so schwer tun mit Unterschieden. Dabei sind wir fünf wahrscheinlich schon ziemlich unterschiedlich…“

Obsalat advanced und Kühe melken

Obstsalat advanced

Die nächste Stunde verbringen unsere Fünf damit, sich über Unterschiede in ihrer Gruppe zu unterhalten. Sie erfahren, dass noch nie jemand den polnischen Nachnamen von Paul auf Anhieb korrekt ausgesprochen hat (außer seine polnischen Freund*innen und die Familie), dass Yasemine neben Türkisch und Deutsch auch noch Russisch und Französisch spricht, dass Beate in einem kleinen Bergbauerndorf in Tirol aufgewachsen ist und Kühe mit der Hand melken kann, dass Maria vor dem Studium eine Tischler*innenlehre abgeschlossen hat und dass Rudi keinen Führerschein hat und noch nicht mal auf der Straße radfahren will.

Durch die neu entdeckten Gemeinsamkeiten und Unterschiede ergeben sich gleich eine weitere halbe Stunde Zweier- und Dreiergespräche. Dann holt Maria die Gruppe wieder zusammen: „Das erinnert mich an eine Methode, die ich früher gerne mit Schulklassen gemacht habe. Vielleicht passt die aber auch für Gruppen von Erwachsenen: Obstsalat advanced.

Wie beim Obstsalat steht eine Person in der Mitte, aber anstelle von Obstsorten sagt sie etwas über sich, von dem sie überzeugt ist, dass sie es mit vielen andere im Raum teilt. Wer das auch hat oder kann (zum Beispiel „ich bin bei der Gewerkschaft“ oder „ich kann Englisch“) muss Platz wechseln. Man kann natürlich auch riskantere Sachen nehmen wie „ich kann gut singen“ oder „ich mag am Liebsten Mangoeis“. Da entstehen schon oft Überraschungsmomente. Als weitere Herausforderung kann man Sachen sagen, wo man überzeugt ist, dass das nur sehr wenige oder vielleicht niemand teilt. Es gibt natürlich auch heikle Fragen, wie zum Beispiel Religion, Sexualität oder politische Zugehörigkeit, aber auch da ist spannend, wie die Gruppe dann mit solchen Themen umgeht. Bei dieser Art von Obstsalat muss sich auch keine*r exponieren. Wenn beispielsweise eine Kategorie unangenehm ist oder ich mich einfach grade nicht positionieren möchte – ich selbst entscheide, ob ich den Platz wechsle oder nicht.“

Expert*in oder Außenseiter*in

Rudi will die Methode auf jeden Fall mal ausprobieren. Er findet sie einen guten Einstieg für die Diskussion um Diversität und was unterschiedliche Lebenswelten und Erfahrungshorizonte mit einer Gruppe machen.

„Ich betrachte das meist eher auf der individuellen Ebene“, meint er begeistert, „aber natürlich macht das auch in der Gruppe einen großen Unterschied. Alleine schon die Frage, mit wie vielen anderen ich mir dann eine Position teile, oder ob ich mit einer Erfahrung ganz alleine bin. Das kann mich zum Experten oder zum Außenseiter machen.“ Er schaut auf Marias Zettel vom Anfang, „jetzt versteh ich auch besser, warum du dir mit den Kleingruppen so viel Mühe gibst. Das kann für die Kleingruppenarbeit echt viel Unterschied machen, ob da viele unterschiedliche oder viele ähnliche Lebenswelten drinnen sitzen.“ Maria nickt. „Aber es ist echt nicht einfach, die Unterschiede gut zu verteilen…“

Diversität und Intersektionalität: Chance oder Feigenblatt?

Paul muss schon weg, er muss seine Kinder von einer Geburtstagsparty im Park abholen, aber Beate, Yasemine und Rudi wollen Maria noch bei ihrer Gruppeneinteilung helfen. Nach 20 Minuten Tüftelei haben sie eine gute Lösung gefunden und die Kategorien Alter, Geschlecht, Branche, Herkunft, Teilzeit/Vollzeit beschäftigt, Familienstand und derzeitige Lebenssituation (Stadt/Land) berücksichtigt.

Beate merkt die Intersektionalität an, dass für manche Personen viele Kategorien gleichzeitig zutreffen und sich noch bestärkend verschränken. Yasmine bestärkt das und erzählt lachend: „Als junge Frau türkischer Herkunft war ich in vielen politischen Kontexten sehr gefragt. Oft hatte ich den Eindruck, ich bin nur das Aushängeschild, das die Organisation nach außen hin gut ausschauen lassen soll und im Hintergrund haben dann eh die üblichen Verdächtigen – mittelalte, österreichische Männer – regiert. Grad bei Organisationen im politischen Kontext ist das oft so.“

Paul nickt nachdenklich: „So hab ich mir das noch gar nie überlegt. Ich dachte immer „cool, dass die junge Frauen fördern“, aber dass die dann manchmal nur als Feigenblatt vorne stehen und fast ein bisschen verheizt werden….. darüber hab ich noch nie nachgedacht.“ Sie unterhalten sich noch ein bisschen über die Fallstricke politischer Vertretungsarbeit. Maria findet es auch schwierig, dass Leute schnell für bestimmte Themen zuständig werden, nur weil sie dieser Gruppe angehören. „Jetzt ist schon mehr Bewusstsein da, aber früher warst du als Frau automatisch für das Thema Gleichberechtigung zuständig, oder als Ausländer*in musst du dich automatisch für die Antirassismuskampagne interessieren. Tust du wahrscheinlich auch, weil es deine Lebenswelt unmittelbar betrifft, aber es befreit die anderen nicht davon, sich ebenso damit auseinander zu setzen.“

Sie vereinbaren noch einen neuen Termin für Herbst – im Sommer überlagern sich die diversen Urlaubspläne – und schreiben Paul ein SMS, um abzuklären, ob er auch Zeit hat. Paul ist übrigens der einzige in der Gruppe, der kein WhatsApp verwendet, was die Gruppe bislang daran gehindert hat, sich auch online zu vernetzen. Zugang und Nutzung zu Technologie ist ein weiteres Diversitätskriterium, stellen die vier anderen fest. Anknüpfend an ihre Diskussion von vorhin planen sie sich mit dem Thema Entscheidungsfindungsprozesse in Gruppen, die auch sehr von den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensrealitäten geprägt sind, zu befassen.

Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky

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