Meine Rolle als Trainer*in, Teil 2
Manchmal können Gruppen auch den Trainer*innen selbst zu viel werden. Ob man das zeigen darf oder nicht, das diskutiert unsere Fallgruppe heute im Park. Dabei geht es hoch her, offenbar befinden sie sich selbst gerade wieder in der Storming Phase.
„Das finde ich nicht!“ Yasemine scheint echt aufgebracht zu sein. „Man kann sehr wohl auch mal eine Unsicherheit zugeben.“ Auch Rudi ist außergewöhnlich aufgeregt für seine Verhältnisse. „Aber ich kann mich nicht hinstellen und sagen `oh, tut mir leid, aber ihr schüchtert mich echt ein`“ schüttelt er verärgert den Kopf. „Das wär das Gegenteil von professionell!“
Als Beate, Paul und Maria eintreffen, löst sich die Spannung ein bisschen. Die drei haben sich zufällig bei der U-Bahn getroffen und sind gemeinsam zum Treffen im Park gekommen. Beate merkt, dass was nicht stimmt und spricht Yasemine und Rudi gleich drauf an. „Ich hab Rudi seine Impulsfrage für den heutigen Input kaputt gemacht, glaub ich.“ Yasemine schaut etwas betreten. „Tut mir echt leid, dass ich vorher so heftig war, aber bei so Professionalitätsfragen, da geh ich ganz schnell an die Decke.“ Rudi zuckt mit den Schultern. „Vielleicht haben wir da auch einfach einen anderen Standpunkt.“ Beate, Paul und Maria schauen gespannt zwischen den beiden hin und her. „Jetzt sind wir neugierig“, meint Paul und rückt sich auf seiner Picknickdecke zurecht.
Themenzentrierte Interaktion
Rudi räuspert sich und beginnt: „Beim heutigen Treffen soll es um die Frage gehen, was ist, wenn mich als Trainer oder Trainerin die Gruppe nervös macht. Darf ich zeigen, dass ich Angst vor der Gruppe habe, oder muss ich kompetent drüber stehen, auch wenn ich mich nicht so fühle?“ Rudi pausiert kurz und führt dann weiter aus: „Yasemine hat vorher gemeint, dass man als Trainer*in jedenfalls auch mit seiner/ihrer Unsicherheit zur Verfügung stehen muss und dass es der Gruppe enorm viel bringt, wenn man diese auch formuliert. Für mich ist das das totale No-Go. Ich finde meine persönlichen Unsicherheiten haben in einem Seminar keinen Platz!“
Yasemine hakt hier sofort ein, „Aber das geht doch voll an der Idee der Themenzentrierten Interaktion vorbei. Ich bin auch Teil des Systems und wenn mich etwas irritiert, muss ich damit umgehen.“ Yasemine erläutert noch mal die Idee der Themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn, die das Thema, die Gruppe und das Individuum gleichermaßen beleuchtet. Der Leiter/die Leiterin ist nach dieser Idee zwar Teil der Gruppe und stellt ihre Gedanken und Gefühle zur Verfügung, verliert aber dabei nicht die steuernde Rolle. Sie versteht sich eher als Katalysator, als Element, das sich oft leichter tut als andere Gruppenmitglieder, Beobachtungen oder Empfindungen zu formulieren.
Gruppensitzung für die Leitung
„Wenn du das so erklärst, versteh ich deinen Ansatz natürlich“, meint Rudi nickend. Er hatte Situationen im Kopf, in denen die Seminarleitung von der Gruppe verunsichert war und das dann lang und breit besprochen hat, ohne dass ein Mehrwert für die Gruppe ersichtlich war. „Das ist zu einer Gruppentherapie für den Trainer ausgeartet“, schüttelt Rudi verärgert den Kopf „und ich war damals leider noch nicht so mutig, einfach zu gehen“. Auch Paul kann da ein paar Beispiele bringen: Er erzählt von Trainer*innen, die bei jedem neuen Input die Gruppe fragen, ob das jetzt passt für sie und bei jedem Räuspern und Naserümpfen gleich ihr Konzept umwerfen. Jede*r scheint Beispiele von Trainer*innen zu kennen, die in ihrer Unsicherheit nicht so professionell rübergekommen sind. Gleichzeitig kommen aber auch Beispiele zur Sprache, wo eine Gruppe sehr davon profitiert hat, dass die Leiter*in die Irritation angesprochen hat.
Ein Genderthema?
Maria hat noch nicht viel gesagt heute. Jetzt räuspert sie sich und meint: „Kann es sein, dass das auch ein Gender-Thema ist? Ich glaub, Frauen wird öfter unterstellt, ihre Unsicherheit nach außen zu tragen und Männern eher, dass sie versuchen, sie zu verstecken. Mit der Frage nach Professionalität versus sozialer Kompetenz oder Gruppenkompetenz werden Trainerinnen sicher öfter konfrontiert als Trainer.“
Alle in der Gruppe nicken. Die Männer berichten von Erfahrungen, wo sie erstaunte Blicke geerntet haben, als sie eine Beobachtung zum Gruppenklima geäußert haben und die Frauen teilen Erlebnisse, wo es Überraschung gab, weil sie auf Befindlichkeiten nicht eingegangen sind, sondern im Thema weiter gemacht haben. Yasemine nickt: „Ich glaub, deswegen bin ich auch so aufgegangen, als du gemeint hast, Unsicherheit zu äußern wäre das Gegenteil von professionell“ – sie schaut Rudi an. „Mir ist das einfach schon so oft passiert, dass ich mich in diese Richtung verteidigen musste. Da bin ich schnell auf 180.“ Rudi nickt: „Das tut mir leid. Das war wohl tatsächlich ein ziemlich dummes Totschlagargument von mir.“
Leiten gegen Widerstand
Beate holt Luft: „Also, das wird euch jetzt vielleicht überraschen, weil ich ja eher aus der Fachecke komme und mit der Gruppendynamik nicht so viel am Hut habe. Ich hab mir geschworen, dass ich nie wieder ein Seminar durchziehe, wenn ich merke, dass in der Gruppe was nicht passt. Ich hab das einmal gemacht und es waren die anstrengendsten und längsten drei Tage meines Lebens. Ich hab quasi jede halbe Stunde auf die Uhr geschaut und die Pause wollte und wollte nicht kommen“ – sie schüttelt den Kopf – „nie wieder tu‘ ich mir das an. Wenn ich nicht zur Gruppe und zu deren Erwartungen passe, dann breche ich den Auftrag lieber ab, als nochmal die Gruppe wie einen toten Gaul mitzuschleppen. Ich bin danach zwei Tage flach gelegen, so erschöpft war ich“ erzählt Beate und lacht dabei. Sie erntet tatsächlich von den anderen verwunderte Blicke, aber im Grunde geben ihr alle Recht: besser ein schnelles Ende, als ein Seminar gegen Widerstand leiten. Das kostet alle Beteiligten nur Energie und hat selten viel Mehrwert.
Langsam wird es kühl im Park und die Fünf beschließen, es für heute gut sein zu lassen. Nachdem das Thema Konflikte grade so gut passen würde, überlegen sie sich, die nächste Zusammenkunft diesem Thema zu widmen. Einig sind sie sich, dass sie sich viel lieber live sehen als über Video und das frische Luft schnappen im Park hat auch allen gut getan.
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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