#thedi: Gewerkschaftliche Bildung, Kritik lernen…

…und die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“.

„Wie ist es möglich, daß man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird – daß man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert wird.“ „Nicht regiert werden wollen (…) diese Gesetze nicht mehr annehmen wollen, weil sie ungerecht sind….“
(Michel Foucault, Was ist Kritik, S. 11 und 13 )

Was soll (gewerkschaftliches) Lernen leisten? Eine gute Erfüllung der täglichen Aufgaben? Die Reduzierung der Fehler durch eine reibungslose Einpassung von Menschen in Anforderungen des Alltags: sei es 12h Tag, Datenschutz, ArbeitnehmerInnenrechte,…? Reicht es, das Arbeitsrecht besser zu kennen als die DienstgeberInnen? Oder die Regelungen zum Bezug von Arbeitslosengeld gut zu vermitteln, wenn KollegInnen gekündigt werden?

Gewerkschaftliches Lernen ist kritisch

Gewerkschaftliches Lernen muss kritisch sein und das ist mehr als die gute Erfüllung des alltäglichen Arbeitsalltags. Eines Arbeitsalltags, der nicht selbstbestimmt ist. Lernen soll Kritikfähigkeit vermitteln. Und Kritik wendet sich gegen jede Form der Regierung – also gegen jede Form des nicht selbstbestimmten Gesteuert-Werdens – meinte Michel Foucault. Oder Kritik weist über das Bestehende hinaus, sie geht an die Wurzeln, sie behält das Ganze im Auge, schrieb Judith Butler. Kritik argumentiert nicht nur innerhalb des Bestehenden. Dazu gehört das kritische Hinterfragen von Machtverhältnissen ebenso wie das Erkennen von politischen Zusammenhängen bei vermeintlichen „Sachthemen“ und „Sachzwängen“. Kritisch bleiben bedeutet aber vor allem auch, die Teilhabe- und Mitbestimmungsfähigkeit zu erhöhen und zu stärken, so Thomas Kreiml.

Gewerkschaftliche Bildung ist politisch

Gewerkschaftliche Bildung ist kritische, politische Bildung – auch wenn Sie Fachkompetenz vermittelt. Das Ziel ist es, die Informationen, das Wissen und die erlernten Kompetenzen immer im gesamtpolitischen Kontext zu sehen und größere Verbindungen zwischen den Themen zu schaffen. Das Ziel ist immer eine selbstreflexive Anstrengung zur Verbesserung unserer Gesellschaften und nicht nur ein Flicken von etwaigen Dysfunktionalitäten – also Flicken von Dingen, die nicht funktionieren. Gewerkschaftliche Bildung ist immer auch politische Bildung. Eine politische Bildung, die nicht Akzeptanzbeschaffung für bestehende gesellschaftliche Verhältnisse ist, sondern eine kritische Instanz zur Problematisierung gesellschaftlicher Widersprüche. Sie stellt den Anspruch, Politik zu entschlüsseln, Zusammenhänge durchschaubar zu machen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Ein Bildung, die „Anreize für Arbeitslose“ als Verschlechterung der Lebensbedingung von Menschen erkennt und als Lust, Menschen in schweren Situationen zu strafen und für ihre Situation verantwortlich zu machen. Eine Bildung, die „Schutz/Sicherungshaft“ in ihrer historischen Dimension versteht und ablehnt.

Gewerkschaftliche Bildung hinterfragt

Ähnlich formuliert es Oskar Negt (vgl. Literaturtipps). Bildung und Lernen ist mehr als Schulung. Negts kritischer Ansatz war es, von Einzelerscheinungen ausgehend gesellschaftliche Prozesse und Strukturen zu verstehen. Von nachhaltiger Wirkung ist auch seine Umdeutung von Kompetenz und Schlüsselqualifikation. Damit hat er eine emanzipatorische Alternative zum funktionalistischen Gebrauch dieser in der bildungspolitischen Diskussion zentral gewordenen Begriffe gefunden. Sein kritischer Ansatz: Politische Bildung kann nicht gelingen, wenn die Systemfrage ausgeklammert bleibt, die Frage nach den bestimmenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen muss gestellt werden. Voraussetzungen dafür sind für ihn die kritische Urteilskraft und der öffentliche Gebrauch der Vernunft.

Zum Weiterlesen

  • Martin Allespach; Hilbert Meyer; Lothar Wentzel: Politische Erwachsenenbildung. Ein subjektwissenschaftlicher Zugang am Beispiel der Gewerkschaften, Marburg 2009.
  • Judith Butler: Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend, In: in Rahel Jaeggi und Tilo Wesche (Hg.): Was ist Kritik? Frankfurt 2009.
  • Michel Foucault: Was ist Kritik?, Berlin: Merve Verlag 1992.
  • Thomas Kreiml, BetriebsrätInnen ermächtigen! Kritik- und Handlungsfähigkeit als gewerkschaftliche Bildungsziele der GPA-djp Basiskurse, hier zum Download (PDF 74KB)
  • Sabine Letz, Gewerkschaftliche Bildungsarbeit – was ist das überhaupt? 2017, hier online abrufbar
  • Oskar Negt, Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie der Arbeiterbildung. Frankfurt 1968.
  • Wolfgang Sander; Peter Steinbach: Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014.
  • Schutzhaft. Wikipedia Eintrag, hier online abrufbar

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Autor: Stefan Vater

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