Seminardokumentation Trilogie 2019 I: Storytelling in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit

Geschichten und Beispiele für Vortrag, Schulung und Seminar

10.09.2019
Trainer: Michael Ziereis und Ulli Lipp

Geschichten werden immer schon erzählt. Wieder entdeckt wird, wie mächtig diese Methode ist. Es geht um die Weitergabe von Wissen, aber auch darum, Menschen emotional zu bewegen und zu mobilisieren.

Was ist Storytelling?

Die Geschichte dazu: Schon in grauer Vorzeit wurden Geschichten erzählt. Von der Jagd auf Mammut und Säbelzahntiger, von dem Treffen mit den Neandertalern, von dem Tag, als eine Frau aus dem Stamm das Feuer löschte. Es gab keine Schrift, es gab keine Schule, schon gar keine Seminarhöhlen. Gelernt wurde durch Nachmachen oder eben durch das Zuhören, wenn die Alten ihre Geschichten erzählten. Und die konnten das. Die machten das spannend und erzählten, wie die Stoßzähne des Mammuts knapp ihre Brust verfehlten und wie sie das Weiße im Auge des Tigers sahen. Die Jungen konnten die Geschichten gar nicht oft genug hören und waren ganz wild darauf, solche Geschichten selbst zu erleben.

Storytelling (deutsch: „Geschichten erzählen“) ist eine Erzählmethode, mit der explizites, aber vor allem implizites Wissen in Form von Leitmotiven, Symbolen, Metaphern oder anderen Mitteln der Rhetorik weitergegeben wird. Es wird aktuell hauptsächlich in digitalen Medien angewandt, hat aber eine lange Tradition… Storytelling wird unter anderem in der Bildung, im Wissensmanagement, in der Unternehmenskommunikation, als Methode zur Problemlösung und als Marketing-Methode eingesetzt. In der Wissenschaft dient es zur Vermittlung von Expertenwissen an ein Laienpublikum, wird aber gelegentlich wegen seines angeblich manipulativen Charakters abgelehnt…“ Quelle: Wikipedia

Storytelling in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit

Mitglieder der Gewerkschaften haben viele Geschichten: Geschichten aus der Auseinandersetzung mit den Unternehmensleitungen, von der Arbeit in den Betrieben, von kleinen und von großen Siegen, aber auch von Niederlagen. Geschichten kommen anders an als sachliche und abstrakt-politische Analysen. Sie zielen auf Emotionen, wecken Gefühle, Betroffenheit, Angst, Wut. Dadurch wird Storytelling mobilisierend. Geschichten rütteln auf, bringen Menschen in Bewegung.

Geschichten wirken, indem wir sie erzählen, auf die Zuhörer*innen. Die „Macht“ der Geschichten kommt aber auch durch das Sammeln und Weitergeben von Geschichten von Teilnehmer*innen. Unser Storytelling-Tag hat gezeigt, wie „lehrreich“ es ist, sie zum Erzählen von Geschichten zu bringen und ihnen zuzuhören. Das ist ganz anders als das Zusammentragen von sachlichen Statements.

Wir brauchen in unseren Schulungen und Seminaren auf alle Fälle beide Zugänge: eine sachliche und kritische Analyse wie ein Ansprechen der Emotionen durch Geschichten.

Die „dunkle Seite“ der Methode Storytelling

Storytelling wirkt, weil Emotionen geweckt werden. Die Wirkung kann in Richtung Aufrütteln angesichts von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung gehen, aber auch in Richtung Angst, Verstärkung von Vorurteilen bis hin zum Wecken von Hass. Die Hetze gegen Ausländer*innen und Flüchtlinge wird oft mit Geschichten betrieben, das Anwachsen des alltäglichen Rassismus geht auf Storys zurück. Gute Geschichten leben nicht davon, dass sie wahr sind, sondern, dass sie geglaubt werden. Das gute Erzählen, die Spannung, die Möglichkeit, sich mit den Personen in der Geschichte identifizieren zu können, sind wichtiger als der nachzuprüfende Wahrheitsgehalt. Ich kann meiner Nachbarin tausendmal erklären, dass Mord und Totschlag statistisch immer weniger werden, aber die Geschichte eines Verbrechens in der Zeitung bestätigt für sie ihre objektiv falsche Sicht auf die Entwicklung der Kriminalität.

Der Ablauf des Storytelling-Tages

Nach dem Kennenlernen gab es die ersten fünf Geschichten. Kolleg*innen erzählten unter der Überschrift „Kindheit, Jugend, Klassenkampf“ spontan und ohne große Vorbereitung Geschichten aus ihrem Leben.

Erste Erkenntnisse: Wir alle haben Geschichten auf Lager und können sie erzählen. Wir kennen die Methode von Kindesbeinen an. Es braucht da keine große Schulung, es geht um Verfeinerungen, um die Entwicklung eines persönlichen Erzählstils und um Übung.

Tipps, die sich aus der Aufwärmübung ergaben:

Eine einfache dreiteilige Grundstruktur

Weitere bewährte Erzählmuster

findet ihr in eurem booklet. Die stammen aus einer traumhaften Internetseite über Storytelling (leider nur auf Englisch) mit Links zu Videos mit Beispielen.

  • Die mühsame Bergbesteigung
  • Der falsche Start oder erst mal auf die Nase gefallen, aber dann …
  • Springen zwischen Wunsch und Wirklichkeit
  • Gleich mitten hinein in die Aktion und später erst erklären, was da abgeht
  • Die Heldengeschichte
  • Ideen gehen auseinander, bevor es zur Lösung kommt

Entwickeln und Erproben von eigenen Geschichten

Es entstanden viele Geschichten für den Einsatz in den Schulungen und Seminaren. Im Halbplenum wurde beim Vortragen munter experimentiert. Nach dieser Phase trugen wir die Erkenntnisse zusammen.

Best-of-Tipps. Alle zusammengetragenen Tipps unten in der Galerie

Teilnehmer*innen zum Erzählen von Geschichten bringen

Woher nehme ich die Geschichte?

Anregungen und Quellen für Storys gibt es viele. Märchen können leicht abgewandelt werden. Es gibt auch ganze Sammlungen von aufgeschriebenen Geschichten, die man direkt übernehmen oder abwandeln kann.

Selbst Bilderbücher geben brauchbare Geschichten ab. Im Train-the-Trainer können wir den Konstruktivismus kaum besser erklären als mit diesem Bilderbuch.

Collective Story Harvesting

Bilder aus dem Erklärfilm zu der Methode

Margret Steixner erzählte uns von der Methode Collective Story Harvesting. Da werden Geschichten in ein umfangreiches didaktisches Modell eingebaut. Der Erklärfilm und ein Text zur Methode (beides leider nur in Englisch) erklären das Vorgehen. Margret schreibt: „Ich arbeite mit Storytelling, allerdings sehr stark im Sinne von Selbstreflexion und weniger in Form von Präsentation. Ein Seminar, wo ich oder wir als Team sehr stark mit Storytelling arbeiten, nennt sich Harvesting. Das ist so ein Wissensmanagement Projekt von SOS-Kinderdorf International.“ Einblicke gibt auch ein kurzer Film über einen Harvesting-Workshop. Hier wird Storytelling gemeinsam mit „Appreciative Inquiry“ eingesetzt.

Wozu Unternehmen Storytelling einsetzen

Dass Storytelling-Techniken manipulativ eingesetzt werden können, wurde schon angesprochen. Die Werbung macht sich das zunutze. Ihre Botschaften haben über die Emotionen, die die Geschichten wecken, freie Bahn in den Kopf. Wie das funktioniert, zeigt ein Clip „Storytelling in drei Minuten erklärt!“

Unternehmen verklären ihre Entstehung durch das Verbreiten von Storys (z.B. Apple). Immer mehr Unternehmen entdecken Storytelling. Selbst an Hochschulen geht es nicht nur um Fakten. Storytelling wird Lehrfach wie zum Beispiel an der FH Burgenland. Hier ein Bericht.

Bücher zum Thema Storytelling

  • Pyczak, Thomas (2018):Tell me! Wie Sie mit Storytelling überzeugen. Rheinwerk-Verlag.
  • Frenzel, Karolina, Müller, Michael, Sottong, Hermann (2006):Storytelling – Das Praxisbuch, Verlag Hanser
  • Birkenbihl, Vera F. (2001): StoryPower. Verlag mvg
  • Duarte, Nancy (2011): resonate: oder wie Sie mit packenden Storys und einer fesselnden Inszenierung Ihr Publikum verändern. WILEY-VCH Verlag

Autoren: Michael Ziereis und Ulli Lipp

Lust auf mehr? Zu allen Einträgen der Serie #mm kommst du HIER!

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