#mm: „Vergessene“ Methoden – Die Zukunfts-Werkstatt

Ziele

** Veränderungen in Gruppen erarbeiten und Umsetzung anschieben
** Lernen und Tun werden nicht auseinandergerissen

Kurzbeschreibung

Zukunfts-Werkstätten sind Workshops mit einer festen, aber ganz einfachen Struktur:

  • Kritikphase: Was passt nicht?
  • Phantasiephase: Wie wäre es, wenn es schön wäre?
  • Realisierungsphase: Was werden wir von unseren Phantasien wie umsetzen?

Die Methode Zukunfts-Werkstatt wurde vom Zukunftsforscher Robert Jungk (1913 – 1994) entwickelt.

Ein Beispiel abseits der politischen Bildung

Die ganze Kantinen-Crew eines 3.000-MitarbeiterInnen-Unternehmens trifft sich am  Wochende in einem Hotel zur Zukunftswerkstatt „Mehr Spaß am Kochen, mehr Spaß am Essen!“. Die Kritikphase geht mit der Kartenabfrage ganz schnell. Klassisch moderiert (mit Klebepunkten) finden sich auch schnell die Knackpunkte. Ein Punkt ist der Stress bei Stoßzeiten, ein anderer das Bahnhofswartehallen-Ambiente in der Kantine. In der Phantasiephase dauert es ein wenig, bis die Crew ins Querdenken kommt. Der Chef der Küche hilft mit: „Leute, lasst euch drauf ein, jetzt dürft und sollt ihr nach Herzenslust spinnen!“ Die Gruppe mit dem Thema Ambiente verzieht sich schnell in das hoteleigene Schwimmbad und präsentiert uns nach einer Stunde, wie das Ambiente schön wäre: Auf der Südseeinsel mit tropischem Flair. Diese Idee kommt am folgenden Morgen in die Umsetzungsphase.
Drei Monate später komme ich wieder in das Unternehmen. Der Küchenchef holt mich ab und führt mich in die Kantine: Dort gibt es eine Art „Insel“ mit richtigem Sand, großen Kübelpalmen. Jeden Tag werden dort Säfte und tropische Früchte angeboten. Die Leute in der Küche reißen sich um den Job „auf der Insel“ und gestalten sie weiter. Die MitarbeiterInnen freuen sich auch.

Robert Jungk würde das Beispiel milde belächeln, ist es doch noch ganz weit weg von den großen gesellschaftlichen Umwandlungen, die er im Auge hatte. Wohlgemerkt, nicht er wollte die Gesellschaft umkrempeln, er hat nur einen Weg entwickelt, wie die Bürgerinnen und Bürger das selbst machen können. In der „Modertionsfibel Zukunftswerkstätten“ (siehe unten)  findet sich folgende Anmerkung Jungks:

Mein heißer Tipp: Die Schere gegen die Phantasie-Killer

Es gibt in Zukunftswerkstätten einen entscheidenden Punkt: Das Umschalten von der Kritik- in die Phantasiephase. Auch als er schon ziemlich klapprig war, wollte Jungk das selber machen. Ich sehe ihn noch vor mir mit einer Schere in der Hand: „In der Phantasiephase darf es keine Grenzen geben. Denkt, was denkbar ist! Gebt den Ideen-Killern, den Scheren im Kopf keinen Platz. Die verstecken sich in Sätzen wie: Das ist zu teuer! Das wird nicht gehen! Da macht uns keiner mit!“
Seitdem habe ich eine schöne handgeschmiedete Schere im Moderationskoffer, die ich als Symbol bei Kreativprozessen aufhänge und erkläre. Es reicht dann oft schon ein Fingerzeit, der ganz oft von TeilnehmerInnen kommt!

Warum ich die Methode mag

Ich durfte Robert Jungk selbst noch erleben und mit ihm arbeiten. Diese wenigen Tage haben mich nachhaltig beeinflusst. Beim Mitmachen wie beim Moderieren habe ich erlebt: Das ist zwar anstrengend, aber ich bin immer mit frischer Energie und Power rausgegangen.
Mir imponiert dieser ganz schnörkellose Dreischritt von Zukunftswerkstätten.
Nicht zu vergessen: Zukunftswerkstätten bleiben – wenn alles gut läuft – nicht beim „Man sollte, man könnte…“. Die die Umsetzung und die politische Aktion sind in die Methode „eingebaut“.

Zum Weiterlesen und -schauen

Auf dem Foto seht ihr – abgegriffen und zerlesen – meine Moderationsfibel Zukunftswerkstätten aus dem Jahr 1997. Das Buch ist uralt, aber immer noch eines der besten Moderationsbücher. Für das Foto habe ich es aus dem Regal genommen und gleich wieder eine Stunde gelesen. Seit 2004 gibt es eine von Kuhnt und Müllert überarbeitete Ausgabe als Taschenbuch.

Ein ganz ausführlicher Artikel aus dem Methodenpool der Uni Köln: sehr akademisch, aber interessant für jeden, der tiefer einsteigen will, mit vielen Quellen und guten Beispielen (PDF, 70 KB).

Ein interessanter Beitrag von Nicola Sekler ist in diesem Blog erschienen: Sie nennt die Methode „Blick in die Zukunft„. Im Kern ist das mit der Phatasiephase der Zukunftswerkstatt zu vergleichen.

Wollt Ihr Jungk selbst kennenlernen? Da gibt es ein Interview  aus dem Jahr 1992. Ewig lang und mit tausend Details, aber ein Ausschnitt zeigt, wie er dachte und warum er in allen Lagern immer wieder aneckte.

Eine Quelle für weitere Informationen: Die Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, die nach Robert Jungk benannt ist.

Ich hoffe, dieser #mm zur Zukunfts-Werkstatt führt auch dazu, dass wieder klar wird, woher die Methode stammt und dass „Zukunfts-Werkstatt“ keine Erfindung von google ist.  Es gab Zukunfts-Werkstätten ganz anders und lange, bevor google kam…

Autor: Ulli Lipp

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